2020-04-13
Corona Marathon
Einige Kilometer haben wir im Corona Marathon geschafft: Den Schock der Erkenntnis, dass das einst ferne Virus nun doch auch in Deutschland angekommen ist. Die befremdliche Nachricht, dass das Virus jeden erwischen kann (damit auch mich). Die Einschränkungen, die zwar sinnvoll sind, mich aber zu stark einschränken. Und woran orientiert man sich eigentlich, was die Dauer und das Ziel des Corona Marathon betrifft?
Da sind ein paar naheliegende Aspekte: die Gesundheit, die Ansteckung, die Todesopfer. Dann die Restriktionen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen - und all die daraus resultierenden sozialen und ökonomischen Effekte. Und gesellschaftlich prägende Themen wie Schule, Bildung, Jobs, Arbeitslosigkeit? Noch mehr Fragen: Was passiert mit unserer Wirtschaft, unserer Wohlfahrt? Fahren globalisierte Wirtschaftssysteme einfach weiter wie vor der Krise, wenn Corona „vorbei“ ist? Möglicherweise ändert sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber der bisher als selbstverständlich akzeptierten Dauer-Optimierung als Reflex auf Globalisierung und Digitalisierung. In meinem Umfeld gab es Menschen, die die Corona-Krise als eine Art Erlösung wahrgenommen haben: „Ich darf eine Zeitlang raus aus dem Hamsterrad. Endlich.“ Für viele Burnout-Gefährdete könnte die verordnete Corona-Auszeit eine heilsame Wirkung auf den linear optimierten Alltag haben. Doch das ist eine andere Geschichte…
Menschen erleben schwerwiegende persönliche Veränderungen in unterschiedlichen Phasen. Stirbt zum Beispiel ein naher Angehöriger, so geht man davon aus, dass es mindestens ein Jahr dauert, bis die Hinterbliebenen die radikale Veränderung in ihr Leben integrieren und ohne den Verstorbenen weiterleben können. Ähnliche Prozesse entstehen bei einem Beziehungsende oder dem Verlust des Jobs.
Auch radikale gesellschaftliche Veränderungen (und dazu gehört Corona, genauso wie 9/11 in 2001) lösen bei uns Entwicklungsprozesse aus. Dieser Prozess der Veränderung wird in sieben Phasen unterteilt, von der Ablehnung bis zur Integration.
Der Corona-Schock kam bei uns viel später als die eigentliche Information. Im Januar hörten wir aus dem fernen China, dass ein Corona Virus ausgebrochen sei. Die dortige Regierung unternahm radikale Maßnahmen, um der Situation Herr zu werden. Aber – naja – China ist weit weg und längst nicht so entwickelt wie zum Beispiel unsere Demokratie und Volkswirtschaft (inklusive Gesundheitssystem). Also siegten zunächst die Gefühle der Überlegenheit und Sicherheit. Als das Virus den Weg über Italien nach Deutschland nahm, setzte die Stufe 1, der Schock, ein. „Trotz der Überlegenheit kommt der Virus zu uns. Verdammt!“ Aber Karneval konnten wir noch feiern. Und auch unser Gesundheitsminister sagte früh, wir hätten alles im Griff. Auch meine ich mich zu erinnern, dass der Wirtschaftsminister versprach, es werde keine Insolvenzen geben aufgrund von Corona. Das gab noch mehr gefühlte Sicherheit.
Erst als von Veranstaltungs-Einschränkungen, Messe-Absagen und Schulschließungen geredet wurde, startete bei vielen die Stufe 2 – Verneinung. „Nee, oder? Das ist ja jetzt nicht deren Ernst. Ich denke, wir haben alles im Griff? Wird bestimmt nur 1-2 Wochen dauern…“ Und auf dieser Stufe befinden wir uns immer noch. Die meisten von uns bewegen sich auf Stufe 3 zu – der Einsicht, dass die Dinge sich unweigerlich verändern werden, ohne zu wissen, wohin. Und genau diese Unsicherheit macht uns Angst und sorgt dafür, dass wir die rationale Erkenntnis emotional ablehnen. Und irgendwann weit nach Ostern, wenn einerseits Lockerungen der Beschränkungen stattfinden (der vermeintliche Alltag zurückkommt) und sich andererseits der Virus dennoch weiterverbreitet, wird sich eine zarte individuelle und gesellschaftliche Haltung formen: „Es geht nicht mehr genauso weiter, wie vor der Corona-Zeit.“
Bis Herbst werden wir uns gesellschaftlich durchgerungen haben, das Neue irgendwie konstruktiv integrieren zu wollen. Und in diesem „Tal der Tränen“ verabschieden wir uns auch von alten, gewohnten Verhaltensmustern (Stufe 4). Das können Grußformen sein wie Händeschütteln oder „Küsschen links, Küsschen rechts“. Oder Veranstaltungen und deren Durchführung. Oder moderne Arbeitskonzepte wie New Work, die ein Umdenken verlangen. Sicher auch Mobilitäts-Konzepte (immer überall günstig verreisen zu können) und der gesellschaftliche Umgang damit.
Die Möglichkeiten der kommenden Veränderungen sind heute wohl nur ansatzweise zu erahnen. “Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt”, prognostizierte Thomas Watson, Chairman von IBM, im Kriegsjahr 1943. Derlei verfehlte Vorhersagen gibt es viele, was künftige Entwicklungen betrifft. Sicher ist, dass es einschneidende kollektive Veränderungen geben wird, nach einem Schock, der weltweit die gesellschaftliche und ökonomische Stabilität erschüttert. Die Stufen 5., 6. und 7. im Diagramm der Veränderungsphasen werden uns zeigen, welche Verhaltensweisen und Maßnehmen das sein werden. Und auch, in welchem Zeitraum wir gesellschaftlich mit den Veränderungen durch die Corona-Krise umgehen lernen.
Schwartz - 07:20:44 @ Allgemein, Coaching, Organisationsentwicklung | Kommentar hinzufügen